Visuelle Rehabilitation
Wann ist eine visuelle orthoptische Rehabilitation erforderlich?
Wann ist eine visuelle orthoptische Rehabilitation erforderlich?
Eine visuelle orthoptische Rehabilitation ist bei Patient:innen aller Altersgruppen sinnvoll, deren Sehschärfe so stark herabgesetzt ist, dass die Bewältigung des Alltags nicht mehr mit konservativen optischen Korrekturen, wie z. B. einer Brille, möglich ist. Des Weiteren können z. B. durch Schädigungen in der Sehbahn des Gehirns infolge eines Schlaganfalls Gesichtsfelddefekte auftreten, die eine Orientierung im Raum sowie die Lesefähigkeit deutlich behindern.
Methoden der visuellen orthoptischen Rehabilitation:
Rund 30 bis 40% aller Patienten mit erworbenen Hirnläsionen, z. B. nach Schlaganfall, Hirnblutung, Hirntumore und degenerativen Erkrankungen, weisen Sehstörungen verschiedenster Arten auf. Die beiden häufigsten Gründe für eine visuelle, orthoptische Rehabilitation sind zentrale Ausfälle des Gesichtsfeldes, welche die Sehschärfe herabsetzen, und flächenhafte periphere, insbesondere halbseitige Ausfälle im Gesichtsfeld, welche die Orientierung im Raum erschweren. Daneben sind durch Lähmung oder Vernarbung entstandene Störungen der Augenbewegung, Augenzittern sowie Schwindel zu nennen. Die Lesefähigkeit kann sowohl durch einen zentralen, als auch durch einen halbseitigen Gesichtsfelddefekt, durch Augenbewegungsstörungen, Störungen in der Zusammenarbeit beider Augen oder durch Schwindel behindert sein.
Halbseitige Ausfälle im Gesichtsfeld
Diese durch Schäden in der Sehbahn des Gehirns entstandenen Defekte im Gesichtsfeld betreffen beide Augen und sind nicht selten. Es handelt sich dann um gleich- und halbseitige Ausfälle. Diese Sehstörung stelle eine ernste, vital bedrohliche Einschränkung der Orientierung und der Lesefähigkeit dar. Das bedeutet eine eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität.
Die Wiedererlangung einer Sehleistung in zuvor ausgefallenen Partien des Gesichtsfeldes wird bei Schädigungen beobachtet, die für gewisse Zeit einen Basisstoffwechsel zulassen, wie bei Tumorkompression oder entzündlichen bzw. die Markscheiden betreffenden Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Bei Gewebsuntergang durch Unterbrechung der Blutzufuhr bessert sich in der Regel mit Abklingen des frischen Ödems nur die Stoffwechsellage in der Randpartie des Infarktes. Eine Erholung der Funktion über diesen Effekt hinaus, wie nach tierexperimentellen Studien denkbar, dürfte eher selten vorkommen. Beim Menschen konnte eine solche Regeneration bisher nicht oder in begrenztem Umfang klinisch nachgewiesen werden, begünstigt durch eine Restfunktion im befallenen Halbfeld.
Ein „Kompensationstraining“, fördert die Augenbewegungen, um hierdurch eine Kontrolle über das ausgefallene Gesichtsfeld wieder zu erlangen. Mittels der Registrierung von Augenbewegungsmustern ließ sich zeigen, dass Patienten mit solchen Ausfällen im Gesichtsfeld eine typische Störung ihrer Suchstrategien der Augenbewegungen aufweisen. Durch ein gezieltes Training (exploratives Sakkadentraining) lassen sich diese Strategien, die für die Wiedereingliederung bzw. Bewältigung des Alltags erforderlich sind, nachweislich signifikant verbessern. Damit einher wird auch die Lesefähigkeit und die Orientierung im Raum deutlich gesteigert. Das hierdurch wieder mögliche rechtzeitige Erkennen von Objekten in der ausgefallenen Hälfte des Gesichtsfeldes vermindert die Unfallgefahr. Ob ein solches Training gar die Fahreignung wieder herstellen kann, bleibt allerdings noch zweifelhaft.
Seit 2009 liegt eine evidenz-basierte Studie vor, die die Wirksamkeit des explorativen Sakkadentrainings bei hemianopsen Orientierungsstörungen bestätigt. Patienten können mit der neu erlernten Kompenstionsstrategie bei alltäglichen Aufgaben anwenden und der Trainingseffekt hält über die Trainingsphase hinaus an.
Für mehr Informationen sowie Literaturhinweisen zur Studie: Wissenschaftlicher Therapieansatz bei Hemianopsien.pdf (102 KB)
Ein speziell für dieses „Restitutionstraining“ entwickeltes Computerprogramm, das die defekte Hälfte des Gesichtsfeldes bei konstantem Blick auf einen Fixierpunkt stimuliert, hat in gründlichen Testreihen zu keiner bedeutenden Rückbildung des Gesichtsfeldausfalls geführt.
Die neurovisuelle orthoptische Rehabilitation steht in Deutschland nicht durchgängig stationär und ambulant zur Verfügung. Es fehlt dem Patienten zumindest nach der Entlassung aus der Akutklinik oder Rehabilitationsbehandlung in aller Regel eine weitere fachspezifische Betreuung. Einige Orthoptist:innen haben sich in einer speziellen Zusatzausbildung hierfür qualifiziert. Ziel der neuro-orthoptischen, visuellen Rehabilitation ist es, den Betroffenen das Ausmaß ihrer Einschränkung zum Bewusstsein bringen und ihnen zugleich helfen, mit dieser Behinderung besser umzugehen. Hierzu gehören zunächst die gründliche Diagnostik und die Prüfung der Motivation zur Behandlung. Danach richten sich die individuell geeigneten Trainingsmethoden. Die Übungen zielen darauf ab, die Sicherheit im freien Raum, die Sehqualität und Quantität und das Lesevermögen zu verbessern. Gewisses Schulungsmaterial kann man dem Patienten ggf. für ergänzende eigenständige Übungen mit nach Hause geben. Bei weiteren Kontrollsitzungen lässt sich der Fortschritt überprüfen, Fehler korrigieren und das Training anpassen.
Zusätzliche Schwierigkeiten wie Einschränkungen der Augenbewegung, Halbseitenlähmung oder Sprachstörungen müssen gesondert berücksichtigt sein. Ein weiteres Problem ist der visuelle „Neglekt“, d. h. die Vernachlässigung einer Hälfte des Sehraumes. Diese Störung erfordert die Kooperation mit einem Neuropsychologen oder Neuropädagogen. Interaktive Computerprogramme sind dabei nur für manche Patienten optimal geeignet, andere profitieren eher von ganz praktischen, „handgreiflichen“ Übungen.
Zentrale Gesichtsfeldausfälle
Zentrale Defekte im Gesichtsfeld entstehen häufig durch Narben in der Netzhautmitte, z. B. bei der altersbedingten „Makula-Degeneration“, oder auch durch Schäden im peripheren Sehnerven. Sie verursachen eine massive Herabsetzung der Sehschärfe, ohne zu Beginn die Orientierung im freien Raum zu sehr zu behindern. Eines der größten Probleme ist dabei der Verlust an Lesevermögen. Mit den verschiedenen Techniken lässt sich der Lesestoff auf optischem oder elektronischem Wege vergrößern. Spezialisierte Orthoptist:innen bestimmen zunächst mit optimaler Korrektur die Sehschärfe für die Ferne und Nähe, das Gesichtsfeld und den erforderlichen Bedarf an Vergrößerung. Davon hängt die geeignete Versorgung mit Hilfsmitteln ab. Das beidäugige Sehen und die Beweglichkeit der Augen sind weitere Faktoren, welche die Lesefähigkeit beeinflussen und daher geprüft werden müssen. Schließlich kann mit besonderen Übungen und flankierenden Maßnahmen das Lesevermögen noch weiter verbessert werden. Die Besserung des Lesevermögens lässt sich natürlich recht einfach nachweisen, einmal durch die Größe des bewältigten Textes, zum zweiten durch die Lesegeschwindigkeit.
Ziel der visuellen orthoptischen Rehabilitation
Ziel der visuellen, orthoptischen Rehabilitation ist die Rückgewinnung der Orientierungs- und Lesefähigkeit sowie eine Steigerung der Sehqualität und -quantität. Sie dient nicht nur zur Eingliederung/Wiedereingliederung in ein soziales Umfeld sowie zur Verbesserung der Lebensqualität, sondern auch zum Erhalt oder Rückgewinnung einer Erwerbstätigkeit.
Zur orthoptischen rehabilitativen Diagnostik gehören:
- Sehschärfenbestimmung in Ferne und Nähe
- Prüfung auf ausreichende optische Korrektion
- Prüfung der Nahanpassungsfähigkeit
- Prüfung der Augenstellung und Augenbewegungsfähigkeit einschließlich der Fähigkeit zu beidäugigen schnellen und langsamen Augenbewegungen
- Messung des Schielwinkels
- Analyse der Zusammenarbeit beider Augen
- Prüfung des zentralen und peripheren Gesichtsfeldes
- Prüfung auf „Vernachlässigung“ einer Gesichtsfeldhälfte
- Untersuchung des Farbensehens
- Untersuchung des Kontrastsehens
- Feststellen des Beleuchtungs- und Vergrößerungsbedarfs
- Prüfung der Lesefähigkeit und der -geschwindigkeit
Zur orthoptischen rehabilitativen Therapie gehören:
- Beratung über Therapiemöglichkeiten
- Beseitigung von Doppelbildern
- Optimierung von Sehhilfen
- Anpassung von vergrößernden Sehhilfen
- Orthoptische Schulung des beidäugigen Sehens
- Reha-Sehtraining
– zur Einübung hilfreicher Sehanwendungsstrategien
– zum Erhalt oder zur Rückgewinnung der Lesefähigkeit - Verbesserung der Raumorientierung
- visuelle Aktivierung
- Training am PC (computergestütztes Schreib-, Lese- und Hemianopietraining)
- Verbesserung der Orientierungsfähigkeit
- Beratung über weitere Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten
- Motivation und Hilfe zur Akzeptanz
Viele Orthoptist:innen, die mit niedergelassenen Augenärzte/innen zusammen arbeiten, haben sich auf diesen Gebieten spezialisiert und bieten ihren Patienten diese umfangreiche Diagnostik und Therapie an.
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